Joseph Roth
Thomas Mann
Franz Kafka
Rainer Maria Rilke

Klage

O wie ist alles fern
und lange vergangen.
Ich glauben, der Stern,
von welchem ich Glanz empfangen,
ist seit Jahrtausenden tot.
Ich glaube, im Boot,
das vorüber führ,
hörte ich etwas banges sagen.

Im Hause hat eine Uhr
geschlagen . . .
In welchem Haus? . . .

Ich möchte aus meinem Herzen hinaus
unter den großen Himmel treten.

Ich möchten beten.
Und einer von allen Sternen
müßte wirklich noch sein.

Ich glaube, ich wüßte,
welcher allein
gedauert hat,—
welcher wie eine weiße Stadt
am Ende des Strahls in den Himmeln steht . . .

Fortschritt

Und wieder rauscht mein tiefes Leben lauter,
als ob es jetzt in breitern Ufern ginge.

Immer verwandter werden mir die Dinge
und alle Bilder immer angeschauter.

Dem Namenlosen fühl ich mich vertrauter:
Mit meinen Sinnen, wie mit Vögeln, reiche
ich in die windigen Himmel aus der Eiche,
und in den abgebrochnen Tag der Teiche
sinkt, wie auf Fischen stehend, mein Gefühl.

Lebensringe

Ich lebe mein leben im wachsenden Ringen,
die sich über die Dingen ziehen.

Ich werde den letzen vielleicht nicht volbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß nocht nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

Eingang

Wer du auch seist: Am Abend tritt hinaus
aus deiner Stube, drin du alles weißt;
als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:
Wer du auch seist.

Mit deinen Augen, welche müde kaum
von der verbrauchten Schwelle sich befrein,
hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum
und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein.

Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß
und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift.

Und wie dein Wille ihren Sinn begreift,
lassen sie deine Augen zärtlich los . . .

Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war seht groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Abend

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes, und eins, das fällt;
und lassen dich, zu keinen ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt.

Nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt—
und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
so daß es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.

Pont du Carrousel

Der blinde Mann, der auf der Brücke steht,
Grau wie ein Markstein namenloser Reiche,
Er ist vielleicht das Ding, das immer gleiche,
Um das von fern die Sternenstunde geht,
Und der Gestirne stiller Mittelpunkt.

Denn alles um ihm irrt und rinnt und prunkt.

Er ist der unbewegliche Gerechte,
In viele wirre Wege hingestellt;
Der dunkle Eingang in die Unterwelt
Bei einem oberflächlichen Geschlechte.

Der Nachbar

Fremde Geige, gehst du mir nach?

In wieviel fernen Städten schon sprach
deine einsame Nacht zu meiner?

Spielen dich hunderte? Spielt dich einer?

Gibt es in allen großen Städten
solche, die sich ohne dich
schon in den Flüßen verloren hätten?

Und warum trifft es immer mich?

Warum bin ich immer der Nachbar derer,
die dich bange zwingen zu singen
und zu sagen: Das Leben ist schwerer
als die Schwere von allen Dingen.

Vorgefühl

Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben.

Ich ahne die Winde, die kommen, und muß sie Leben,
während die Dingen unten sich noch nicht rühren:
Die Türen schliessen noch snaft, und in den Kaminen is Stille;
die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer.

Da weiss ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer.

Und breite mich aus und falle in mich hinein
und werfe mich ab und bin ganz allein
in dem großen Sturm.

Titelblatt

Die Reichen und Glücklichen haben gut schweigen,
niemand will wissen, was sie sind.
Aber die Dürftigen müßen sich zeigen,
müßen sagen: ich bin blind,
oder: ich bin im Begriff es zu werden
oder: es geht mir nicht gut auf Erden,
oder: ich habe ein krankes Kind,
oder: da bin ich zusammengefügt . . .

Und vielleicht, daß das gar nicht genügt.

Und weil alle sonst, wie an Dingen,
an ihen vorbeigehen, müßen sie singen.

Und da hört man noch guten Gesang.

Freilich die Menchen sind seltsam; sie hören
lieber Kastraten in Knabenchören.

Aber Gott selber kommt und bleibt lang,
wenn ihn diese Beschnittenen stören.

Das Lied des Bettlers

Ich gehe immer von Tor zu Tor,
verregnet und verbrannt;
auf einmal leg ich mein rechtes Ohr
in meine rechte Hand.

Dann kommt mir meine Stimmne vor,
al hätt ich sie nie gekannt.
Dan weiß ich nicht sicher, wer da schreit,
ich oder irgendwer.
Ich schreie um eine Kleinigkeit.
Die Dichter schrein um mehr.

Und endlich mach ich noch mein Gesicht
mit beiden Augen zu;
wie's dann in der Hand liegt mit seinem Gewicht,
sieht es fast aus wie Ruh.

Damit sie nicht meinen, ich hätte nicht,
wohin ich mein Haupt tu.